Meldung vom 2. August 2025 (09:07 Uhr)
Es ist der 25. Februar im Jahr 1843, als Joseph Brems einen Brief an den Magistrat von Eichstätt schreibt. Der Leuchtenbergische Hauptkassier bringt in seinen Zeilen sein tiefes Bedauern zum Ausdruck. Denn ihm wurde eine wichtige Aufgabe übertragen, die er zu Lebzeiten nicht mehr zu Ende bringen wird – das ist dem knapp 70-Jährigen beim Schreiben des Briefes in feinsäuberlicher Sütterlin-Handschrift schon klar. Brems sollte ein Verzeichnis der Eichstätter mittelalterlichen Urkunden im Archiv erstellen. Über acht Tage lang, so schreibt er, habe er sich mit großem Vergnügen den Urkunden gewidmet, aber der über fünfhundertjährige feine Staub brenne in seinen Augen. So schaffe er höchstens zwei Urkunden am Tag und seine Kraft reiche für die insgesamt 125 Quellen nicht mehr aus. Er habe im Lesen der alten Schriften viel Übung – dennoch brauche er Stunden, bis er den Inhalt verstanden und klar vor Augen habe.
Sprung in die Gegenwart
180 Jahre später können zwölf Studierende sehr gut nachempfinden, wie es Brems ergangen sein muss. Denn ihre Aufgabe ist sehr ähnlich. Sie haben in den vergangenen Monaten drei Wochenenden im Eichstätter Stadtarchiv im Rathaus verbracht, mit Staub gekämpft, schwer lesbare Handschriften entziffert und immer wieder fasziniert innegehalten angesichts von spannenden Funden. Denn sie alle nehmen an einem gemeinsamen Projekt der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und der Stadt Eichstätt teil. Das Ziel: „Das konservatorische Behandeln und Erschließen der Bestände des Archivs im Rathaus“, erklärt Dr. Teresa Neumeyer. Gemeinsam mit Prof. Dr. Sabine Ullmann leitet sie das Projekt. „Fr. Neumeyer ist die Archivarin, ich bin die Historikerin, da ergänzen wir uns sehr gut“, erklärt Ullmann, die an der KU die Professur für Frühe Neuzeit und Vergleichende Landesgeschichte innehat.
Ohne Rost und Staub für die Nachwelt erhalten
Konservatorisch behandeln und erschließen - wie sieht das aber in der Realität aus? Die Studierenden nähern sich der Masse an alten Dokumenten, die im Rathaus eingelagert sind, Stück für Stück, von Aktenserie zu Aktenserie. „Wir nehmen die Dinge aus dem Archiv, reinigen sie grob und nehmen zum Beispiel Metallteile heraus, damit nichts rostet“, erzählt Neumeyer. „Dann verpacken die Studierenden in archivkonforme Schutzverpackungen, damit alles gut erhalten bleibt. Wichtig dabei: Die Dokumente müssen liegend, nicht stehend gelagert werden.“ Damit ist der Bestand für die Nachwelt gut erhalten.
In die Geschichten der Eichstätter/-innen eingetaucht
Doch die Studierenden machen noch mehr – sie erschließen das Archiv zu ersten Mal, wie die Expertinnen es nennen. Dafür hat die Stadtverwaltung eigens eine neue Archivsoftware angeschafft. Die Studierenden sehen die Archivalien durch, geben der Akte digital einen Namen, Schlagworte und Laufzeiten. „Wir lesen also nicht jede Archivalie von hinten bis vorne durch“, erklärt Neumeyer. Das wäre bei etwa 1.000 Archivalien pro Gruppe nicht zu schaffen. Die Studierenden würden aber trotzdem alle Seiten auf Auffälligkeiten und Besonderheiten durchsehen. Dabei tauchen Sie ein bisschen ein in die Lebensgeschichten vieler Eichstätter/-innen über die Jahrhunderte, in deren Versuche, sich ein Leben aufzubauen und – falls das scheiterte – ins Auswandern nach Amerika. Der Inhalt des Eichstätter Stadtarchivs weist aber auch die Bemühungen der Staatsbeamten nach, den immer neuen Vorgaben aus München gerecht zu werden. Beim Lesen all dieser Geschichten hat der ein oder andere Studierende schon sein kurioses oder bedeutsames historisches Lieblings-Stück gefunden.
Die jahrhundertealte Aufgabe zu Ende führen
Bisher hatten sich die Türen des Rathaus-Archives „nur“ für einige wenige wissenschaftliche oder heimatverbundene Recherchen auf Anfrage geöffnet – was während des Projektes in der kommenden Zeit teilweise nur eingeschränkt möglich sein wird. Vor allem dank der neuen Archivsoftware hoffen Ullmann, Neumeyer und die Stadtverwaltung, die vielen Geschichten im Archiv künftig noch viel mehr Menschen einfacher zugänglich zu machen.
Der Leuchtenbergische Hauptkassier Brems, der die mittelalterlichen Urkunden hätte katalogisieren sollen, hat seine Aufgabe übrigens nicht mehr zu Ende bringen können – keine zwei Jahre nach seinem Brief verstarb er. Sein Brief liegt heute in Akt Nr. 1658 im städtischen Archiv. Das studentische Projekt mit Ullmann und Neumeyer möchte aber natürlich nach diesem ersten erfolgreichen Sommersemester weitermachen mit dem Ziel, bis zum Wintersemester 2028/29 fertig zu werden. Schon jetzt steht der nächste Termin für das erste Archivwochenende im Wintersemester, wenn die Studierenden wieder ein Wochenende lang zwischen Staub und schwer lesbaren Handschriften spannende Eichstätter Geschichte ausgraben.
Wie kam die Stadt Eichstätt eigentlich zu ihrem Archiv?
1808 erhielt Eichstätt wie alle anderen Kommunen auch eine neue Gemeindeverfassung – und damit eine Reihe von Rechten und Pflichten. Die damalige „Stadtverwaltung“ sollte nun zum Beispiel Eheerlaubnisscheine oder Gewerbekonzessionen ausstellen und darüber auch schriftliche Nachweise führen. Etwa 30 Jahre später, 1837, forderte die bayerische Regierung die Gemeinden auf, über ihre Archivalien Akten anzulegen und darüber Bericht zu erstatten, wie die Dinge verwahrt werden. Hintergrund war ein Erlass König Ludwigs I., mit der die neuen Landesteile – darunter auch das ehemalige Hochstift und die fürstbischöfliche Residenzstadt Eichstätt – in das noch junge Königreich Bayern integriert werden sollten. Der Monarch war der Überzeugung, dass die mittelalterlichen Urkunden dazu beitragen würden, über die Belege für die reiche Geschichte des Landes die Identifizierung mit dem bayerischen Vaterland zu stärken. Heute ist das städtische Archiv über vier Standorte verteilt und enthält neben Aufzeichnungen über die Stadt und deren Stiftungen auch Nachlässe von Privatpersonen.